Im Frühling des Jahres 2005 kommt im Auktionshaus Hermann Historica in München ein edles Reiseschreibzeug aus dem 19. Jahrhundert unter den Hammer. Das Kästchen, das man in zwei Hälften ausklappen kann, ist aus Mahagoni gefertigt und überzogen mit schwarzem, geprägtem Leder. Die vergoldeten Beschläge sind aus Messing. Im Inneren befinden sich zahlreiche persönliche Dinge – ein Kalender, Briefe, Notizen, Visitenkarten, Arztrezepte und Rechnungen. Darunter ist auch eine handgeschriebene Einladungskarte zu einem Wohltätigkeitsbasar in Paris, dem »Bazar de la Charité«, der einmal im Jahr für mehrere Tage stattfand.
Die Dame, der dieses wertvolle Reiseschreibzeug gehörte, war Herzogin Sophie Charlotte von Alençon, eine Angehörige des bayerischen Herrscherhauses, die einen Nachkommen des letzten französischen Königs geheiratet hatte und vor kurzem 50 Jahre alt geworden war. Die Herzogin war karitativ sehr engagiert; einige Jahre zuvor war sie dem Dritten Orden der Dominikaner beigetreten. Als Angehörige des Dritten Ordens war für Sophie Charlotte der »Bazar de la Charité« eine Pflichtveranstaltung, denn hier verkauften Damen der High Society Bilder, Kunstgegenstände und anderes für einen guten Zweck.
Im Jahr 1897 hatten sich die Organisatoren des Bazar nach einem neuen Platz umschauen müssen, da der alten Standort der kommenden Weltausstellung zum Opfer gefallen war. Als man schließlich ein leerstehendes Grundstück in einer Straße nahe der Seine gefunden hatte, wurde dort in aller Eile ein Gebäude aus Holz zusammengezimmert. Das Innere dekorierte man mit alten Theaterkulissen, die eine Verkaufsstraße aus dem 15. Jahrhundert darstellen sollten. Als besondere Attraktion schwebte eine kleine, mit Wasserstoff gefüllte Montgolfière im Raum. Außerdem lockte der Bazar mit einer neuen Erfindung: ein Kinematograf der Gebrüder Lumière, der sich in einem Nebenraum befand, brachte die Bilder zum Laufen. Dass der Brandschutz in dem improvisierten Gebäude nicht optimal geregelt war, wusste man. Nicht umsonst hatte der Organisator ein striktes Rauchverbot erlassen.
Es ist der zweite Tag des Bazars, der 4. Mai 1897. Herzogin Sophie Charlotte von Alençon ist zu einer kurzen Mittagspause in ihre nah gelegene Wohnung zurückgekehrt. Wahrscheinlich hat sie etwas zu Mittag gegessen und nochmal ihren Hund Ponto gestreichelt. Eigentlich waren die Herzogin und ihr Hund unzertrennlich. Überall, wo Sophie Charlotte war, tauchte auch Ponto auf. Aber der dicht gefüllte Bazar war kein Platz für einen Hund.
Der Bazar war an diesem Nachmittag mehr als gut besucht. Man schätzt, dass 1.500 Menschen sich dort aufgehalten haben. Darunter befindet sich auch die Französin Mathilde d‘Andlau, die für den Bazar zwei Bilder zum Verkauf gespendet hat. Sophie Charlotte möchte die junge Dame gerne kennenlernen. Vielleicht hat auch sie eine Einladungskarte von der Herzogin erhalten. Mathilde d‘Andlau wird kurze Zeit später der letzte Mensch sein, der die Herzogin noch lebend sieht.
Es ist eine Verkettung höchst unglücklicher Umstände, die sich zu dem Drama entwickeln, das sich am Nachmittag des 4. Mai 1897 in der Rue Jean Goujon abspielt: Um die Lampe des Kinematografen zu betreiben, ist Äther notwendig. Beim Nachfüllen ist der Gehilfe des Filmvorführers unvorsichtig und verschüttet Teile des Substanz, die sich beim Kontakt mit der noch heißen Lampe sofort entzündet. Eine Stichflamme steigt empor und innerhalb von kürzester Zeit verwandelte sich das ganze, aus Holz und Leinwand bestehende Gebäude in ein Flammeninferno. Besonders lichterloh brennt der Stoffhimmel des Bazars, für den man ein mit Bitumen imprägniertes Segeltuch verwendet hat.
Wie viele Menschen genau in den Flammen des Bazar de la Charité ums Leben kommen, ist ungewiss. Die Angaben schwanken zwischen 126 und 140 Personen. Bei den meisten Opfern handelt es sich um Frauen und Kinder. Es wird nachher heftige Kritik am Verhalten vieler Männer geäußert werden, die wohl beim Versuch, sich selbst zu retten, ziemlich grob vorgegangen sind.
Herzogin Sophie Charlotte von Alençon gehört zu den Personen, die vermisst werden. Als man ihre silberne Taschenuhr und ihren Ehering findet schwindet die Hoffnung, sie noch lebend zu finden. Es ist schließlich ihr Zahnarzt der bestätigt, dass die 50-jährige Herzogin sich unter den Opfern der Tragödie befindet.
Das Reiseschreibzeug der Herzogin, das über 100 Jahre später in München versteigert werden wird, stammt aus dem Nachlass ihres Enkelsohnes, Prinz Joseph Clemens von Bayern. Auf einem beiliegenden Zettel hat er vermerkt: „…von meiner Großmutter Herzogin Sophie Charlotte an ihrem Todestag in ihrem Büro zurückgelassen.“